Die Bahnhofsinsel – eine persönliche Zwischenbilanz

Daniel Fuchs

In den reichlich zwei Jahren seit Beginn des Bahnhofsinsel-Projekts habe ich immer wieder mit Freunden, Bekannten und Fremden über den Eberswalder Bahnhofsvorplatz und unsere Ideen diskutiert. Es sind wohl zwischen fünfzig und hundert gewesen, und ich kann mich nur an sehr wenige erinnern, die den Platz, so wie er jetzt ist, akzeptabel fanden. Fast alle beklagten sich über die „Betonwüste“, so die häufigste Wortwahl. Nun ist das nicht unbedingt repräsentativ, da die Zufriedenen naturgemäß nicht das Gespräch mit einer Initiative suchen, die auf Veränderung aus ist. Es zeigt aber zumindest, dass es einen nicht zu vernachlässigenden Unmut über das gegenwärtige Aussehen des Platzes gibt. Ich glaube andererseits auch, dass die Ursache dafür nicht nur in der Menge der verbauten Kunststeinplatten liegt, auch wenn es der Einfachheit halber oft so gesagt wird. Zumindest für mich ist die Sache komplizierter. Ich will versuchen, sie hier darzulegen.

Zum einen habe ich eine generelle Kritik am ästhetischen Grundkonzept des Platzes, der leeren Fläche, die von geraden Linien gegliedert wird. Im Bebauungsplan ist das nicht ausdrücklich so formuliert, dort geht es eher um die Funktion, aber die Idee ist vor Ort klar erkennbar. Gerade Linien und die dazwischenliegende Weite symbolisieren natürlich am ehesten den Verkehr selbst, die Verbindung übers Land hinweg, die ja hier tatsächlich stattfindet. Passt doch genau, oder?

In Wirklichkeit muss der Platz natürlich nicht wie Eisenbahn aussehen, nur weil er zur Eisenbahn führt. Das ist kindisches Symboldenken. Die ästheti­­­‐sche Aussage der Geraden durch den leeren Raum ist „Schnell weg von hier.“ Wenn man aus Eberswalde abfährt, passt das eventuell ganz gut. Wer aber hier ankommt, möchte auch empfangen werden, und das ist es, was die Fluchtästhetik des Plans von 2005 nicht vermag. Natürlich gibt es immer Spielräume bei der Ausgestaltung, aber der Grundgedanke des heutigen Bahnhofsvorplatzes ist eben nicht „Ach, hier ist es aber nett“ sondern „Hoffentlich kommt der Bus bald.“

Hier war meine Hoffnung, dass die Bahnhofsinsel dem Platz den Ruhepol und vor allem das gestalterische Zentrum geben könnte, das ihm jetzt fehlt. Das würde auch der angedeuteten Tribüne am Nordrand, von der aus man zur Zeit mehr oder weniger ins Leere schaut, einen Blickpunkt gegenüberstellen. Ob sie dadurch häufiger genutzt würde, bleibt natürlich offen.

Aber akzeptieren wir mal für einen Augenblick die Idee der „Linien durch die Weite“ als Motto des Designs, denn ein gut und schlüssig umgesetztes Prinzip kann sich Respekt verschaffen und einen positiven Eindruck hinterlassen, auch wenn es nicht ganz den eigenen Vorlieben entspricht.

Bahnhofsvorplatz-Wege

Hauptsächlich frequentierter Weg und Hindernisse auf dem Bahnhofsvorplatz

Tatsächlich stellt sich aber die funktional gedachte Ästhetik des Platzes an mehreren Stellen der Funktion entgegen. Um auf der kürzesten und meistfrequentierten Route von der Bahnhofshalle zur Eisenbahnstraße gelangen, muss ich zwei Baumreihen kreuzen, die eigentlich meinen Weg flankieren sollten: einmal direkt nach Verlassen des Gebäudes und ein zweites Mal, um die Rampe zu erreichen, die von den meisten Passanten benutzt wird, um auf die Eisenbahnstraße zu gelangen. Denn so eckig, wie es die Linien suggerieren, läuft niemand. Die Gerade wird damit zur Grenze, die das Fortkommen behindert. Und was an sich höchst sinnvoll erscheint, nämlich Bäume, Bänke und Telefonzelle in die Kugelahornreihe vor dem Bahnhofsgebäude zu integrieren, erweist sich in diesem Fall als zusätzliche Barriere. Der Raum jenseits der Linien ist dagegen weitgehend leer, materiell und konzeptionell.

Natürlich kann eine freie Fläche gestalterisch sinnvoll sein. Für einen Platz gehört sie regelrecht zur Grundausstattung. Die Leere hat aber immer den Zweck, auf etwas Sehenswertes dahinter zu deuten. Nur was soll das in der Nordhälfte des Platzes sein? Der Eingang zur Bahnhofshalle wäre hervorhebenswert gewesen, aber der ist von einer metallenen Dachkonstruktion verstellt. Das ist funktional gut gedacht und funktioniert an dieser Stelle auch perfekt (als Regenschutz), verhindert aber wiederum, dass ein visuell sinnstiftendes Ensemble entsteht. Es ist diese ästhetische Ruhe- und Planlosigkeit des Platzes, die seltsam unkomfortable Raumaufteilung und Linienführung, die mich abstößt, nicht die Menge an Pflastersteinen, die dafür verbaut wurde.

Mir ist allerdings auch klar, dass die Bahnhofsinsel zwar einen neuen Schwerpunkt setzen, aber an den Proportionsproblemen vor Ort nicht generell etwas ändern kann. Vielleicht macht es das so schwer, ihr die Bedeutung beizumessen, die den materiellen Einsatz und den Eingriff ins Bestehende rechtfertigen würde? Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, dass keiner der Entwürfe, die wir diskutiert haben, uneingeschränkte Begeisterung hervorruft? Egal wie man die Bahnhofsinsel konkret gestaltet, sobald man sich über Gestaltung ernsthaft Gedanken macht, landet man wahrscheinlich eher in einer Art Opposition zum Rest des Platzes als bei einer Symbiose. Das ist im Verlauf des Projekts und in fast allen Entwürfen sehr deutlich geworden. Die vom Baudezernat vorgeschlagene „Spar-Variante“ eines Solitärbaums mit rechteckiger Unterpflanzung vermeidet dagegen diesen Konflikt; insofern könnte sie unter den gegenwärtigen Umständen durchaus eine gute Begrünungslösung sein.

Mein persönliches Ziel für das Bahnhofsinsel-Projekt war, einen Diskurs über Ästhetik in der Stadtgestaltung anzustoßen. Der hat tatsächlich im Kleinen bei unseren Treffen stattgefunden, jedoch nur wenig in der öffentlichen Diskussion des Projekts. Dort ging es oft nur um die Frage „ja oder nein“ und um die Kosten, als ob damit schon alles geklärt wäre. Dabei hätte ich mir durchaus auch eine ästhetische fundierte Kritik an unseren Entwürfen gewünscht. Das Nachdenken über Schönheit ist offensichtlich eine rare Erscheinung. Seltsamerweise scheinen selbst viele zeitgenössische Planer bei allem, was über die bloße Funktion hinausgeht, eher der Eingebung des Augenblicks, der Laune zu folgen als einem begründeten Konzept. Manches wirkt wie ausgewürfelt. Wie nahe sich dabei das Erhabene und das Groteske kommen, zeigt sich für mich am neuen Kirchenhang. Und noch eine Erkenntnis scheint mir bedenkenswert: Die Planer, die Eberswalde gestalten, kommen meist nicht von hier, sondern aus Großstädten und sind an die ironische Brechung alles Traditionellen und geradeheraus Schönen gewöhnt, die so charakteristisch für den urbanen Raum ist. Für die Provinz — in dem positiven Sinn, den man in Eberswalde diesem Wort abgewinnen kann — muss das nicht immer der passende Ansatz sein.

Führen wir also die Diskussion weiter, egal wie die Abstimmung am 25. Juni ausgeht. Die nächste Neugestaltung eines Platzes in Eberswalde, die ja garantiert irgendwann kommen wird, kann nur davon profitieren.

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Ein Kommentar zu „Die Bahnhofsinsel – eine persönliche Zwischenbilanz

  1. Neben Funktionalität und der reinen Ästhetik gibt es auch noch weitere relevante Fragen, wie: Fühle ich mich an diesem Ort wohl? Repräsentiert der Platz Eberswalde und seine Bürger? Fühlt man sich hier zu Hause oder gut aufgenommen? Repräsentiert er den Zeitgeist am Ort?
    Die Kritik an dem Platz selbst haben wir beim Grünen Bahnhof immer wieder selbst wahrgenommen und zumindest symbolisch gezeigt was der Platz sein kann. Auch finde ich dass Alnus vorbildlich die Bürgerinnen und Bürger (aber auch Stadt und Hochschule) mit eingebunden hat bei der Ideenplanung und Entwicklung und bis zu handfesten Modellen gekommen ist, die auch öffentlich ausgestellt wurden – um so trauriger, wenn das jetzt alles ignoriert wird.